Mia

Liebes Tierheim Süderstraße, liebe Frau David*, liebe Mitarbeiter des Hundehauses und liebe Tierrettungswagen-Fahrer!

Hier soll einmal eine etwas andere Erfolgsgeschichte erzählt werden:

An einem tollen, warmen Spätsommertag im September 2014 wollte ich nach Hause radeln und beobachtete auf dem Weg dorthin einen recht mageren, ungepflegt wirkenden Hund ohne Halsband, der gerade an Müllsäcken zugange war.

Als ich das Tier ansprach, rannte es voller Angst und Panik vor mir weg, direkt über eine vielbefahrene Straße. Allerdings nicht ohne auf den Verkehr zu achten. Solch ein Verhalten kam mir sehr bekannt vor: Ein völlig verängstigter Streuner. In Hamburg.
Ich nahm die Verfolgung auf und holte auch noch ein paar Katzenleckerlies von zu Hause.

In der Tat konnte ich die Streunerin wieder entdecken und in einem nahegelegenen Park einen ersten Kontakt herstellen. Daraufhin organisierte ich mir Halsband, Leine und Hundekuchen und kehrte in den Park zurück.
Glücklicherweise befand sich die Hündin noch vor Ort und ich durfte mich bis auf angemessenen Abstand nähern. So hockte ich mich einfach dorthin und warf ihr Hundekuchen zu. Sie ließ sich tatsächlich bis auf Armeslänge heranlocken, ich legte schon mal Halsband und Leine zwischen uns, damit sie es sehen und beschnuppern konnte. Funktionierte alles.
Doch dann kam ein Jack-Russel-Rüde auf der Suche nach Kaninchen durchs Gebüsch gestromert, sah uns, die Hündin sah ihn und schon begann eine wilde Jagd – denn wir wussten nicht, dass sie läufig war und gerade ihre Stehzeit hatte.

Die zwei Hunde rannten bis zum folgenden Morgen durch Hamburg-Lokstedt. Dann war der Jack-Russel-Rüde des Verfolgens müde und lief nach Hause, während sich die Streunerin in einem nahegelegenen Gebüsch versteckte. Viele Versuche, sie anzulocken oder sie zu greifen, scheiterten.
Aber mit Hilfe des Rüden, in den sich die Streunerin "verguckt" hatte, konnte sie letztendlich doch in ein Treppenhaus gelockt und eingefangen werden.

So kam sie das erste Mal ins Tierheim Süderstraße.
Dort folgte das übliche Prozedere: Zunächst Quarantäne, Impfung, Chip einbringen, ein wenig päppeln. Natürlich wollte ich sie in dieser Zeit gern besuchen, schauen, ob es ihr gut geht – aber sie wurde abgeschirmt. Nach kurzer Zeit wurde die Streunerin dann zur Vermittlung freigegeben, sie war ja gesund.
An einem der ersten Tage, nachdem sie in den öffentlich zugänglichen Bereich gebracht wurde, war ich natürlich wieder dort und was ich sah, war ein Bild des Elends: Ein furchtbar verängstiger Hund. Ich hatte zwar den Eindruck, dass sie mich erkannte, aber das war alles viel zu viel für sie. Ein kleiner schüchterner, hilfesuchender Blick traf mich.

Zwei Tage später ging eine Nachricht durch den Stadtteil: Sie war wieder gesehen worden! Es klärte sich schnell auf. Sie war aus einem nicht überdachten Freilauf-Zwinger geklettert und aus der Süderstraße zurück nach Lokstedt gekehrt. Vermutlich, war sie auf der Suche nach ihrem ehemaligen Besitzer, da sie sich hauptsächlich in der Gegend des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) aufhielt.

Es folgten zweieinhalb Monate, in denen der Hund gejagt wurde. Viele besorgte Bürger meldeten sich wieder und wieder beim Hamburger Tierschutzverein und so wurde letztlich eine Lebendfalle aufgestellt, um sie einzufangen.
Durch einen Tipp konnte sie bis auf das Gelände des UKE verfolgt werden, wo sie unter einem etwas höher stehenden Gebäude Unterschlupf gefunden hatte. Also wurde die Falle dort aufgestellt, getarnt und die Hündin über mehrere Wochen angefüttert.

An einem Freitagnachmittag im Dezember war es dann endlich so weit, nach mehreren erfolglosen Kontrollen konnte sie in der Falle gefunden werden. Daraufhin kam sie erneut in die Süderstraße. Am kommenden Tag habe ich sie besucht und durfte auch auf dem Tierheimgelände in einem abgezäunten Bereich Zeit mit ihr verbringen. Als Frau David uns beobachtete, sagte sie einen Satz, den ich nie vergessen werde: "Sie wissen: Das ist Ihr Hund!"
Tatsächlich hatte ich mir schon überlegt, die Hündin zu übernehmen.
Aber: Ein Hund bedeutet eine ungeheure Lebensumstellung. Es ist eine große Verantwortung, die man übernimmt und man benötigt viel Zeit und Geduld – besonders für solch einen ganz besonders ängstlichen Hund, dessen Vorgeschichte nicht bekannt ist. Und die Frage, die ich mir dabei stellte, war: Kann und will ich das bei voller Berufstätigkeit leisten? Werde ich dem Tier gerecht?
Nun, das hat ehrlich gesagt Mia entschieden. Am zweiten Tag, an dem ich sie besuchte, musste ich noch etwas warten, bis sie mir übergeben wurde, also ging ich von außen an ihren Zwinger. Sie lag natürlich im Innenbereich im Körbchen, denn die Besuchszeit war gerade beendet und das war ihr sicherlich viel zu unruhig gewesen.
Da spitzte jemand im Körbchen sofort die Ohren, stand auf, kam langsam auf mich zugetrottet, klemmte sich wie ein Häufchen Elend in die Ecke zwischen Wand zum nächsten Zwinger und dem vorderen Gitter und fing fürchterlich an zu zittern. Damit war es um mich geschehen. Wenn ein Tier so signalisiert, dass es Vertrauen hat, dann ist fast alles möglich.
Ein paar Tage später konnte ich sie abholen und es ging von Anfang an alles leichter als gedacht. Auch mit der bereits im Haushalt lebenden, sehr selbstbewussten Katze Lehnchen ging es von Anfang an gut.

Jetzt sind wir seit genau einem Jahr ein Team, Mia hat eine phantastische Entwicklung zu einem fröhlichen, spielfreudigen Hund durchgemacht. Sie ist einerseits sehr zärtlich und kuschelt gern, aber auf der anderen Seite, besonders im Spiel, ein ziemliches Raubein. Da gibt’s schon mal den einen oder anderen blauen Fleck am Menschenarm. Und sie ist nicht zu unterschätzen! Ganz Schäferhund hat sie einen großen Beschützerinstinkt und einen starken Jagdtrieb. Dennoch ist sie ängstlich und besonders bei Menschen fast ausnahmslos skeptisch. Aber auch sehr gelehrig und Hundeschule und Mantrailing helfen, Vertrauen aufzubauen und den Alltag besser zu meistern.

Es ist ein hartes, aber wundervolles Stück Arbeit und es war die beste Entscheidung meines Lebens, diesen Hund bei mir aufzunehmen!

Herzliche Grüße von Bettina B. und einer glücklichen Mia

 
PS: Lehnchen verstarb im Frühjahr 2015 im Alter von etwa 18 Jahren und im Sommer kamen dann die Kater Garfield und Charly, ebenfalls aus dem Tierheim Süderstraße, zu uns. Auch unter den Dreien gibt es keine Probleme, sie haben sich alle sehr gut aneinander gewöhnt! Auf diesem Wege auch einen lieben Gruß an Frau Hischer*!


*Frau David ist Leiterin der Hundeschule und Frau Hischer leitet unsere Katzenhäuser.